Vielleicht findest du Worte für das, was du bisher nicht sagen konntest.
Karsamstag im Kino
Während ich beim Shoppen gut abgelenkt gewesen war und meine Aufmerksamkeit fast ausschließlich Benni gegolten hatte, war ich an diesem Abend wesentlich mehr gefordert, nicht dauernd nur an Constans zu denken. Fieberhaft wartete ich auf seine SMS, in der er mir den Ort unseres morgigen Ostertreffens mitteilen würde. Schließlich mochte ich bald wissen, wohin genau ich fahren sollte und ob es sinnvoller war, dafür das Auto oder die Öffis zu nehmen.
Benni und ich planten bewusst eine gute Stunde Zeitpuffer ein, um vor dem Film eine Kleinigkeit zu essen. Die Wahl fiel auf ein Selbstbedienungsrestaurant. Irgendetwas Süßes, passend zum Osterfest, wäre fein gewesen, denn ich war noch satt vom Salat, den ich zusammen mit Constans gezaubert hatte. Wie so oft beim Bestellen von Essen und kalorienhaltigen Getränken erlebte ich mich unentschlossen.
»Eine heiße Schokolade wäre toll, das reicht mir eigentlich. Aber ob die hier wirklich heiß ist? Sonst eben einen Schwarztee mit warmer Milch und eine Osterpinze«, tat ich meine Überlegungen kund.
»Sag einfach, ich bringe es dir.« Benni stand ungeduldig neben mir, in freudiger Erwartung, mich sogleich bedienen zu dürfen.
Das stresste mich – ziemlich sicher wegen meiner Unausgewogenheit mit dem Thema. Er meinte es gut, das war mir klar. Ich hingegen gab mich kompliziert, obwohl ich es gar nicht wollte. In der Gegenwart von Constans hätte ich mich zugegebenermaßen mehr zusammengerissen, hätte einfach wahllos bestellt und im Nachhinein so getan, als wäre es der beste Griff überhaupt gewesen. »Weißt du was, bring mir irgendetwas. Ich kann mich nicht entscheiden, also lass ich mich überraschen.«
Und Benni kam zurück mit einer üppigen Tasse heißem Kakao, der wie geahnt keine 70 Grad hatte und zu mindestens einem Viertel aus Schlagobers bestand. Dazu brachte er eine nicht zu klein geratene Pinze mit Vanillecremefüllung.
»Wenn du es nicht schaffst, lass es einfach stehen«, kommentierte Benni seine Auswahl. Gratuliere, Elja. Hervorragend gemacht und das einen Tag vor dem nächsten Treffen mit Constans. Natürlich würde nichts davon übrigbleiben. Erstens, weil es vor mir stand und mich anfunkelte; zweitens, weil ich Essen nicht zurückschickte, um es dann weggeschmissen zu wissen (selbst wenn ich es nicht selbst bezahlt hatte). Unerwarteterweise ließ ich dann aber doch die Hälfte meiner ›heißen‹ Schokolade zurück. Es war mir leid, mir Zucker und Kalorien zuzuführen, wenn mir das Getränk aufgrund seines zu süßen Geschmacks und der Temperatur nicht gut genug schmeckte. Diesen neuen Verhaltenszug erstmals an mir vernehmend spazierten wir mehr oder weniger schweigend zum Kinosaal. Ich hatte tatsächlich meinen Kakao stehenlassen, was für eine Errungenschaft!
Ein sichtlich verliebtes Pärchen saß unweit vor uns auf der linken Seite. Ich bildete mir ein, zu beobachten, wie Benni die beiden mit einem wehmütigen Blick musterte. Dann schaute er mich an, schüchtern und doch funkelte etwas in seinen Augen. Dieses Etwas forderte mich auf, näher an ihn heranzurücken und seine Hand zu berühren, die er auf die Lehne zwischen unseren Plätzen gelegt hatte. Verstohlen blickte ich stattdessen auf mein Handy, um zu überprüfen, ob Constans sich schon gemeldet hatte (hatte er nicht), und kam mir dabei dreist vor. Da saß ich nun, Sitz an Sitz an der Seite eines sympathischen Mannes, der nicht an meine Seite gehörte. Stahl ich ihm seine Zeit? Aber es war doch so nett mit ihm. Rasch schob ich meine Zweifel beiseite und freute mich auf die gleich beginnende Komödie, die ich mir für diesen Abend hatte aussuchen dürfen.
»Ich war einmal mit einer Frau zusammen, mit 16, die wohnte wie du in Niederösterreich, nur weiter südlich. Und weil es im Winter zu kalt war, um uns draußen zu treffen, waren wir ständig nur im Kino.«
Ich blickte ihn an und kicherte darüber. »Spannend, wieso habt ihr euch nicht zuhause getroffen?«
»Meine Eltern waren relativ streng und bei ihr hatten wir quasi zu wenig Platz, um uns zurückzuziehen. Sie teilte sich ein Zimmer mit ihrer jüngeren Schwester.«
Ich nickte, um ihm mein Zuhören zu signalisieren.
»Es war bis dato die längste Beziehung, die ich je hatte. Und die schönste. Wir waren richtig verliebt, kann ich mich erinnern.«
Wieder nickte ich still und hoffte auf ein baldiges Licht an der Kinoleinwand. Zuvor hörte ich mich noch fragen: »Würdest du dich auf jemanden einlassen, wenn du nicht richtig verliebt bist?«
»Ja. Ich denke, dass es länger dauern kann, bis der Funke überspringt«, meinte Benni und führte seine Gedanken sogleich weiter aus. »Mir ist wichtig, dass ich mich bei ihr wohlfühle, sie sympathisch und klug ist. Es wäre quasi nicht ausschlaggebend, ob sie ein paar Kilos zu viel oder zu wenig hat, was sie beruflich macht oder ob sie schon Mama ist. Und bei dir?«
»Ich brauche schon die Schmetterlinge, selbst wenn ich diese nicht von Beginn an spüre. Liebe auf den ersten Blick ist eine romantische Vorstellung, die sein kann, aber nicht muss«, stellte ich durch unser Gespräch fest.
»Das finde ich auch. Oft braucht es einfach Zeit, um sich besser kennenzulernen.«
»Ja, voll«, stimmte ich zu und dachte an Constans, »er soll mich herausfordern und ich mag von ihm lernen können. Gleichzeitig möchte ich, dass er mein Wesen so liebt und sein lässt, wie es ist.«
Er nickte. »Ja, genau wie bei mir. Ich mag intelligente Frauen, die fest im Leben stehen.«
»Was bedeutet intelligent für dich?« Ich kam ihm merklich näher, sodass er mich trotz der hohen Lautstärke, die der beginnenden Werbung geschuldet war, hören konnte.
»Dass sie weiß, was sie will«, gab er kurz darauf in lautem Ton zurück und beugte sich in Richtung meines linken Ohrs, das ich ihm freundlicherweise hinhielt.
Wusste ich, was ich wollte? Handelte ich danach? Was machte ich dann hier? Wieso saß ich mit Benni im Kino, wohlwissend, dass Constans der Mann war, den ich mir an meine Seite wünschte? Sollte ich Benni gegenüber mit offenen Karten spielen? Oder machte ich mir viel zu viele Gedanken und sollte ich die gemeinsame Zeit mit ihm einfach genießen? Ich entschied mich dazu, zumindest für diesen Tag. Also ließ ich mich in den Sitz sinken und versuchte, mich des Moments zu erfreuen.